Norbert Voll

Instrumental- und Ensemblelehrer
Autor
Hochschullehrer
Bläserdirigent
Solofagottist
 


Konzept für die Ensembleleitung - Vom "Ich und Wir zugleich"


Der Aufbau des Körper-Klang-Gefühls und das Üben im Flow stehen im Mittelpunkt meines Konzeptes.Wie findet das Ensemble zum "Einssein im Klang"? ie findet  das Ensemble zum "Ich und Wir zugleich"?

Die Planung einer Ensembleprobe orientiert sich an der Struktur des Instrumentalunterrichts. Eine Ensembleprobe gliedert sich somit in die Eröffnungsphase (Probeneinstiegsphase), die Erarbeitungsphase, die Anwendungsphase und die Schlussphase.

Probenplanung

Eine erfolgreiche Ensembleprobe beginnt mit der gründlichen Planung des Unterrichts:

Eine Analyse der Probenbedingungen klärt vorab die Lernausgangslage, die Voraussetzungen, die die Ensemblemitglieder mitbringen und die situationsbezogenen Voraussetzungen. Die besonderen Bedingungen in den Ensembles stellen die Ensembleleiter häufig vor besondere Anforderungen: Die Ensemblemitglieder bringen ein breites Spektrum unterschiedlichster musikalischer Fertigkeiten und Klänge mit, häufig wechselnde oder unvollständige Besetzungen müssen aufgefangen werden.

Didaktisch-methodische Vorüberlegungen sind ein weiterer wesentlicher Teil der Unterrichtsplanung. Lassen Sie mich auf einige Details meines methodischen Konzeptes der Ensembleleitung zu sprechen kommen, die ich in vielen Jahren der Musikpraxis mit Bläsergruppen (auch Laien) entwickelt habe. 

Im Mittelpunkt des Konzeptes für die Ensemblearbeit stehen Körper-Klang-orientierte Methoden, die mit dem gemeinsamen Aufbau des Körper-Klang-Gefühls den lebendig-homogenen Klang zum Ziel und das Üben im Flow.

Probeneinstieg

Der Probeneinstieg spielt hierbei eine zentrale Rolle, denn im Probeneinstieg wir der Erfolg der gesamten Probe angelegt. In der Eröffnungsphase werden die wesentlichen Merkmale meines Ensemblekonzeptes im gemeinsamen Einspielen eingeführt und als klanglicher, sozialer und musikalischer Maßstab für den Verlauf der gesamten Ensembleprobe fixiert:

Das Hören und Erfahren von Klängen wird mit dem Üben körperlicher Ausdrucksformen und mit dem Unterrichtsraster Handeln – Fühlen – Denken in Bewegung gesetzt. Dies bewirkt den Aufbau des Körper-Klang-Gefühls.

Das Üben im Flow fördert die Freude am Tun und erzielt als Nebenprodukt positive Wechselbeziehungen im Ensemble die auf die Zusammenhänge zwischen Klangbild und Gruppendynamik zurückzuführen sind.

Ich möchte nun auf die Details der körperorientierten Methoden und der Übe-Methode, das Üben im Flow zu sprechen kommen:

Bläserische Stimmbildung als Methode

Im Ensemble kann das gelöste Spiel und der gelöste Klang der Instrumente genauso erreicht werden wie im Individualunterricht. Die Komponente Klang wird bei der Arbeit mit Ensembles meist vernachlässigt; als musikalische Dimension geht sie nicht selten völlig verloren. Meine Arbeitsweise mit den Bläserensembles folgt Prinzipien der chorischen Stimmbildung. Sie lässt die Bläser mit sängerischen Einstellungen beim Musizieren einen natürlichen Zugang zum Klang finden. Die Ensemblemitglieder erhalten im Einspiel genügend Zeit und Raum zur persönlichen, individuellen Tongebung zu finden und können so eine neue intensivere Beziehung zum Klang finden, mit der sie die Musik eindringlicher erleben und erlernen können.

Wie in der Chorischen Stimmbildung arbeite ich mit Dispositions- und Stimmbildungsübungen und mit der Stimme und dem Körper als erstes Instrument. Beim Singen gewonnenen Stimm- und Körpererfahrungen werden auf das Blasen der Instrumente übertragen und für den Ensembleklang genutzt.

Der lebendig-homogene Klang

Ziel ist derlebendig-homogene Ensemble-Klang, bei dem die „befreiten“ individuellen Tönen der Musiker im Klang der Gruppe gemischt werden. Klangliche Individualität und Sozialität werden in Balance gebracht,sodass sich ein organisch gewachsener „persönlicher“ Ensembleklang mit  eigener Identität entwickelt. Das Ensemble soll eins sein im Klang und zugleich als  Gruppe: Das  "Ich und Wir zugleich" soll sich einstellen. Beim „Arbeiten wie mit einem Chor“lassen sich musikalische Strategien und Strategien der Gruppenleitung leicht verbinden, denn auch die Gruppe basiert auf der Balance von Individualität und Sozialität.

Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass die Körper- und Stimmübungen den Musikern Spielfreude und Wohlgefühl vermittelten und eine förderliche Ensemblekommunikation bewirken, in deren Rahmen der Ensemble-Leiter seine zielführenden Absichten erfolgreich umsetzen kann.

Üben im Flow

"Flow" (Fließen, Strömen) bezeichnet das Gefühl der völligen Vertiefung und des Aufgehens in einer Tätigkeit. Beschrieben und für die praktische Psychologie angewendet hat es ab 1975 der amerikanische Psychologe  Mihály Csíkszentmihályi (u. a. "Flow im Beruf: Das Geheimnis des Glücks am Arbeitsplatz", Stuttgart 2004). Üben im Flow ist eine darauf basierende Übe-Methode, bei der die Ensemblemitglieder nach bestimmten Regeln zu anstrengungslosem und gleichermaßen konzentrierten Musizieren geführt werden (siehe auch "Üben im Flow" von A. Burzik in "Handbuch üben", Wiesbaden 2007). Mit der Methode wird ein Spielgefühl eingeübt, bei dem sich die Musiker nicht nur wohlfühlen sondern bei dem sie auch besonders aufnahmefähig sind. Sie sind ganz bei der Sache, das Musizieren macht Spaß und sie spüren, dass „alles läuft“.

Das sind die wichtigsten Regeln der Übe-Methode:

  • Üben Sie in kleinen Portionen.

  • Die Übeabschnitte sollen überschaubar sein.

  • Die Anforderungen müssen in einem realistischen Verhältnis zu den Fähigkeiten der Bläser stehen: nicht zu schwer und nicht zu leicht.

  • Das Lernziel muss anhand der ausgewählten Abschnitte klar vermittelbar sein, der Übe-Erfolg muss nachvollziehbar sein.
    Geübt wird durch spielerisches Wiederholen und Erforschen: Passagen werden verändert und vereinfacht (z. B. Tempi, Rhythmen), sodass tatsächlich ein Spiel mit den Noten entsteht.

  • Lenken Sie die Aufmerksamkeit der Musiker abwechselnd auf den Kontakt zu sich selbst, den Kontakt zum Instrument, den Kontakt zum Klang (siehe "... bis es immer besser klingt ..." von N. Voll, Freiburg 1993). Beispiele: Fragen Sie nach, welche Anspannung und Entspannung die Musiker fühlen, ob sich die Kontaktpunkte zum Instrument angenehm anfühlen, ob sie mit ihrem Gefühl allen Tönen folgen können.

  • Lassen Sie die Musiker immer musizieren, das Spielen mit den Noten und den Klang genießen.

Üben und Musizieren sollen eins sein. So lernen die Musiker nachhaltig.

Kanons

Ich gestalte den Probeneinstieg seit Jahren vor allem mit Kanons. Mit den Kanons können die Ensemblemitglieder von Anfang an musizieren. Im einstimmigen Kanonspiel kann ich allen Anforderungen der  bläserischen Stimmbildung gerecht werden und alle für die Tongebung und den schönen Klang erforderlichen Parameter fächerübergreifend aufbauen. Haltung, Atmung, Spielbewegung, Artikulation, Körperräume, Stimmung und Intonation frage ich rotierend ab. Vieles kommt wie von selbst, den die Musiker vergleichen Gleiches mit Gleichem. So entstehet Klangqualität die ich in die weitere Ensembleprobe übernehmen kann.

sind wunderbare Musikstücke, die die Musiker gerne annehmen. Im abschließenden mehrstimmigen Spielen erleben die Musiker gemeinsam den musikalischen Aufbau. Die Beziehungen der Musiker zu ihrer eigenen Tongebung, zu den Mitspielern und zum gemeinsamen Klang sind erfolgreich hergestellt. Dieses Wir-Klingen-Gefühl sorgt für hohe Motivation.

Diese Grafik veranschauchlicht das Konzept:


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Erarbeitungs-, Anwendungs- und Schlussphase

Das methodische Vorgehen im weiteren Probenverlauf lehnt sich an die Vorgehensweisen des Probeneinstiegs an. Sowohl das Üben im Flow als auch das Lernen mit Körper- und Stimmübungen ermöglicht den Ensemblemitgliedern besonders nachhaltiges Lernen. Langsamkeit und Bewusstheit beim Üben mit körperlichen Ausdrucksformen (Atem, Sprache, Bewegung usw.) lassen die Musiker nicht nur die technischen Abläufe sicher automatisieren, sondern auch den musikalischen Ausdruck ausprägen. In der Anwendungsphase werden die mit dem Körper-Klang-Gefühl gewonnen klanglichen Resultate verallgemeinert und zum bläserischen und musikalischen Standard des Ensembles. Die Schlussphase erhält mit dem Reflektieren des lebendig-homogenen Klang einen motivatorischen Schwerpunkt.

Ensembleleitung an der Hochschule

Das Fach Ensembleleitung soll die Studierenden zur eingehenden Analyse und Planung der Ensemblearbeit befähigen und für das Beobachten, Bewerten und Trainieren in der Ensemblearbeit sensibilisieren. Es soll Aktionsformen und Prinzipien folgen, die dem modernen Instrumentalunterricht entsprechen.

Das von mir praktizierte Ensemblekonzept kann auf die hohen Anforderungen des Faches Bläser-Ensembleleitung wirksam abgestimmt werden und steht als methodisch-didaktisches Modell der Ensemblearbeit instrumentalfächer-übergreifend zur Verfügung.



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